In Südfrankreich wird getestet, wie man Alzheimererkrankten ein würdevolleres Leben ermöglichen kann. Ein Dorf als - erfolgreiches - Pilotprojekt.
Auf den ersten Blick wirkt hier alles wie in einem echten Dorf. Es gibt einen zentralen Platz mit Einkaufsladen, Friseur, Bibliothek und - natürlich französisch - einer Brasserie.
Das viele Grün und der weite Blick über die unscheinbaren Zäune lassen vergessen, dass das hier eigentlich ein Altersheim für Alzheimererkrankte ist - ganz ohne weiße Arztkittel.
Gegenentwurf zu herkömmlichen Altersheimen
Das Dorf sei bewusst so entworfen, dass man vergisst, wo man sich eigentlich aufhält, erklärt Cécile Berthier, Direktorin des Dorfs:
Der zentrale Platz im Village Landais Alzheimer
So ist das "Village Landais Alzheimer" zwei Autostunden südlich von Bordeaux auch ein Gegenentwurf zu herkömmlichen Altersheimen. Mit viel Zeit und möglichst viel Freiheit für die Menschen soll ein Gefühl von Zuhause vermittelt werden. Nur eben in kreisförmigen Wegen, damit sich die Bewohnerinnen und Bewohner nicht in einer Sackgasse verlaufen.
Intensivere Betreuung und flexiblere Pflegezeiten
Jenny Heidet begleitet zwei Damen mit Strohhut in den Gemüsegarten des Dorfs, sie haben sich bei ihr eingehakt. Der Garten ist fester Bestandteil des Programms. Zusammen pflücken sie Himbeeren und gießen die Tomaten. Die eigentliche, härtere Gartenarbeit machen Freiwillige.
Die Idee hinter der betreuten Gartenarbeit: Die Menschen im Dorf sollen alltägliche Dinge tun. So kämen sie mit anderen Bewohnern ins Gespräch und würden ihr Sozialleben weiterführen, erklärt Pflegerin Heidet: Dadurch bleiben sie so selbstständig wie möglich.
Gärtnern fördert die sozialen Kontakte
Höherer Personalaufwand und viele Freiwillige
Generell beruhe hier so viel wie möglich auf dem freien Willen. In herkömmlichen Einrichtungen gebe es zum Beispiel feste Wasch- und Esszeiten, alleine schon aufgrund der sehr begrenzten Zeit des Personals. Hier entscheiden die Bewohner selbst, wann sie was machen möchten.
Für diese eingeräumte Freiheit braucht es mehr Personal als in herkömmlichen Einrichtungen. Auf gut 120 Bewohner kommen 120 Angestellte, inklusive Kantine und Verwaltung. Zusätzlich gut 80 Freiwillige, die regelmäßig ins Dorf kommen, um zu helfen.
Zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern schäkern sie beim Bepacken des Wagens im Einkaufsladen und bewundern die Fortschritte, die ihre Schützlinge beim Stricken des Schals gemacht haben
Intensive Betreuung ist normal im Village Landais Alzheimer
Forschung sieht Vorteile im Alzheimerdorf
Professorin Hélène Amieva von der Universität Bordeaux begleitet das Alzheimerdorf mit einem Forschungsprojekt seit seiner Eröffnung im Jahr 2020.
Schon jetzt vor Ende der Studie zeichne sich ab, dass es den Erkrankten im Dorf deutlich besser gehe: "Es gibt keinen Bruch, wenn die Menschen in das Dorf kommen."
In herkömmlichen Einrichtungen verschlimmern sich die Symptome der Alzheimererkrankten normalerweise in den ersten sechs Monaten, ihre Lebensqualität verringert sich. Diese Beschleunigung des Krankheitsverlaufs beobachten wir im Alzheimerdorf nicht.
Modellprojekt um Alzheimerbetreuung zu verbessern
Diese intensive Betreuung hat ihren Preis: 29 Millionen für den Bau, gut sieben Millionen Euro pro Jahr Betriebskosten - und das für 120 Alzheimererkrankte. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen dabei nicht mehr bezahlen als in einem herkömmlichen Pflegeheim. Der Großteil wird von öffentlichen Geldern finanziert.
Derzeit leben gut 900.000 Menschen mit Alzheimer in Frankreich. Weil die Bevölkerung auch in Frankreich altert, wird diese Zahl in den kommenden Jahren wachsen. Alle Alzheimererkrankten in so einem Dorf unterzubringen, sei damit zumindest mittelfristig unrealistisch, so Amiéva, doch das sei auch gar nicht das Ziel.
Wir untersuchen ein Lebens- und Begleitmodell und wollen möglichst viele Lehren aus dem Projekt ziehen, wie man mit solchen Personen umgeht.“ Hélène Amieva, Universität Bordeaux.
Lange Warteliste für Village Landais Alzheimer
Der sich abzeichnende Erfolg des Projekts spricht sich herum. Schon jetzt, drei Jahre nach seiner Eröffnung, haben sich andere Gemeinden in Frankreich nach dem Projekt erkundigt, sagt Dorfleiterin Berthier. Und die Warteliste ist lang.
Auch Carine Destouesse wünscht sich einen Platz für ihre Mutter, die einmal die Woche in das Dorf kommt. Heute machen sie, zusammen mit einer anderen Bewohnerin, einen Spaziergang und schauen sich die beiden Esel im Dorf an.
Ihre Mutter hier unterzubringen, sei für sie sehr viel weniger schmerzhaft, als sie in ein klassisches Heim zu stecken, sagt Destouesse. Denn hier werde versucht, das Menschliche zu bewahren.
Und die Bewohnerinnen und Bewohner? Häufig können die zwar keine zusammenhängenden Gespräche mehr führen. Eine Sache aber sagen die meisten, wenn man sie fragt: "Uns geht’s gut hier".
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